Eine neue Studie* liefert eine Momentaufnahme des Schweizer Immobilienbestands – ein wertvolles Tool für das Monitoring der Fondsrisiken in Verbindung mit der Dekarbonisierung.
Dr. oec. Nathan Delacrétaz, CRML, Universität Lausanne, Quanthome
Philippe Gabella, Leiter des Bereichs Indirekte Immobilienanlagen, BCV
Immobilien-Anlagevehikel sind wichtige Akteure des Immobilienmarkts, der zu den grössten CO2 Emittenten der Schweiz zählt. Wo stehen sie bei der Umsetzung der Vorgaben der Schweizer Klimastrategie? Welche Strategien werden bevorzugt? Die Analyse* von über 45 000 im Jahr 2024 in der Schweiz erteilten Baubewilligungen hat zu einem besseren Verständnis der Entwicklung des Immobilienbestands geführt. Was sind die Analyseergebnisse und inwiefern sind diese für Anlegerinnen und Anleger hilfreich?
Was macht diese Studie aus?
Nathan Delacrétaz: Die Studie zeigt, dass die in der Schweiz erteilten Baubewilligungen aussagekräftige Informationen dazu liefern, wie sich der Gebäudepark in Richtung CO2-Neutralität entwickelt. Man erfährt nicht nur, wie rasch die sich aufdrängenden Renovationen vorangetrieben werden und was sie kosten, sondern auch welche Übergangsstrategien die institutionellen Anleger verfolgen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, denn bisher verfügten wir praktisch nur über retrospektive Daten. Die neuen Indikatoren ermöglichen es den verschiedenen Akteuren, besser zu planen, Portfolios zu vergleichen und künftige Herausforderungen zu antizipieren.
Philippe Gabella: Für die Anlegerinnen und Anleger schliesst diese Studie eine Lücke. Tatsächlich erlaubten es die bis anhin verfügbaren Daten nicht, sich ein klares Gesamtbild zu verschaffen und – was uns besonders interessiert – die Fortschritte der Immobilienanlagevehikel in Sachen Dekarbonisierung zu verfolgen. Genau diese Aspekte aber sind für den langfristigen Dialog mit den Fondsmanagern von zentraler Bedeutung. Tatsächlich müssen Immobilienfonds die Verwaltung ihres Immobilienbestands über einen langen Zeitraum hinweg planen. Die Vorbereitungen für 2050 laufen denn auch bereits seit mehreren Jahren. Die Studie eignet sich im Übrigen auch als Grundlage zur Durchführung einer Reihe von anderen nützlichen Analysen zur Marktentwicklung und zu den Markttrends.
Welche Strategien zur Dekarbonisierung werden heute bevorzugt?
ND: Heute stützen sich die meisten Fonds hauptsächlich auf drei Strategien: die Sanierung bestehender Gebäude, die Umschichtung des Portfolios (Käufe und Verkäufe, um u. a. die Umweltleistung zu verbessern) und die Entwicklung neuer Gebäude mit hoher Umweltleistung. Die Impact-Strategie, die auf die Sanierung von Immobilien mit unterdurchschnittlicher Umweltleistung abzielt, um einen grünen Mehrwert zu erzielen, spielt nach wie vor eine untergeordnete Rolle, da sie spezifische Ressourcen erfordert. Die vorgenannten Strategien sind als Archetypen zu verstehen. In der Praxis werden sie von den Fonds je nach den lokalen Gegebenheiten zumeist kombiniert.
PHG: Diese Studie liefert eine Momentaufnahme der Gesamtsituation. Die Gespräche mit den Fondsmanagern zeigen, dass die Immobilienfonds diese verschiedenen Strategien in der Regel kombinieren. Eine Spezialisierung auf Extreme – Rebalancing oder Impact – wäre nicht sinnvoll, da dadurch ein grosser Teil des Immobilienbestands ausgeschlossen würde, was im Hinblick auf die Dekarbonisierung des Landes nicht zielführend wäre. Einige Akteure verfügen indessen über interne Kompetenzen, die eine Neuausrichtung der Portfolios auf eine bestimmte Art von Immobilien begünstigen, was aus finanzieller und wirkungsbezogener Sicht durchaus zweckmässig sein kann.
Wie sieht es mit der Dekarbonisierungswirkung aus?
ND: Die Dekarbonisierungswirkung hängt der Studie zufolge vor allem vom Tempo ab, mit dem die sich aufdrängenden Renovationen durchgeführt werden: Jedes Jahr der Verzögerung erschwert die Erreichung der Klimaziele und erhöht den künftigen Aufwand. Dank der neuen Studie lassen sich die Markt- und Regulierungsrisiken und damit auch die künftige Entwicklung der Portfolios besser abschätzen.
Die Studie besticht ausserdem in erster Linie dadurch, dass es fortan möglich ist, die verschiedenen Profile der Anlagevehikel quantitativ zu definieren und die zu erwartenden Übergangskosten für jedes einzelne Anlagevehikel zu bewerten. Dies ermöglicht es, die Strategien der verschiedenen Akteure systematisch zu vergleichen, spezifische Handlungshebel zu identifizieren und den Investitionsbedarf besser zu evaluieren.
Die Studie ist aber mehr als ein blosses Diagnosetool. Sie ist insbesondere als dynamisches Steuerungsinstrument zu verstehen, das Anlegern und Managern helfen soll, ihre Strategien vor dem Hintergrund der immer komplexeren und differenzierteren Herausforderungen optimal zu überwachen und anzupassen.
PHG: Mit diesem Steuerungsinstrument lassen sich die verschiedenen Fondsrisiken überwachen. Unabhängig davon, ob es sich um die Bewertung oder um die Reputation handelt, lässt sich damit das in Zusammenhang mit dem energetischen Sanierungsbedarf bestehende finanzielle Risiko messen. Obwohl dieses Instrument die Transparenz deutlich verbessert, sollte es nicht als eine Summe statischer Daten oder als absolute Referenz betrachtet werden. Die Situationen und damit die Herausforderungen sind von Fonds zu Fonds und von Immobilienportfolio zu Immobilienportfolio sehr unterschiedlich: Baurisiken, Standortrisiken usw. Eine klare Zuordnung zu der einen oder anderen Strategie ist schwierig. Für die Anlegerinnen und Anleger ist vor allem wichtig, über Tools zu verfügen, mit denen sie die Dekarbonisierungsstrategie der Fonds sowie deren Entwicklung und langfristige Finanzierungsstrategie im Hinblick auf die notwendigen Sanierungsarbeiten beurteilen können. Die Studie leistet dazu einen wertvollen Beitrag – ebenso wie die übrigen vom CRML* seit 2020 durchgeführten Studien.
Was riskieren die Immobilienfonds, die ihre Dekarbonisierungsziele nicht erreichen?
ND: Derzeit sind in der Schweiz keine unmittelbaren Sanktionen für Fonds vorgesehen, die den Klimazielen noch nicht Rechnung tragen. Aus der Studie geht allerdings hervor, dass sich die Frage der Wirtschaftlichkeit stellt. Schieben alle Marktakteure die Durchführung der notwendigen Renovationen hinaus, kann dies – je näher die Umsetzungsfrist rückt – die Nachfrage nach Renovationen in die Höhe treiben, was angesichts der beschränkten Kapazitäten zu entsprechenden Kostensteigerungen führen dürfte. Wir haben es hier mit einer Form des «Gefangenendilemmas» zu tun: In der Tat wäre ein schrittweises und koordiniertes Vorgehen insgesamt effizienter und für alle Marktteilnehmenden kostengünstiger als ein verzögertes Handeln. Eine frühzeitige und zeitlich gestaffelte Planung würde dazu beitragen, den Druck auf den Sektor insgesamt zu mindern und die mit der Klimawende verbundenen Betriebs- und Finanzrisiken besser im Griff zu behalten.
PHG: Die Immobilienfondsmanager müssen sich an die Gesetze halten, die in den für sie relevanten Gebieten gelten bzw. sich an die jeweilige Gesetzesentwicklung anpassen. Zwar ist bis anhin noch keine Rede von Geldstrafen, nichtsdestotrotz unterliegen die Fonds den Marktkräften. Besteht ein Portfolio aus Immobilien in schlechtem Zustand, stellt dies für die Anlegerinnen und Anleger ein Risiko dar, da Werteinbussen vorprogrammiert sind. Daher ist es für Anlegerinnen und Anleger wichtig, in regelmässigen Abständen mit vergleichbaren und transparenten Daten versorgt zu werden.
Wie kann man sich ein Bild vom Engagement eines Fonds machen?
ND: Zur Beurteilung des Engagements eines Fonds müssen neben den üblichen Fundamentaldaten die konkreten Daten zur Renovation, zur energetischen Sanierung und zur Dekarbonisierung (wie in der Studie aufgezeigt) analysiert werden. Tools wie die PRESS-Scores oder der PRESS-Index** ermöglichen objektive Vergleiche, aber die Glaubwürdigkeit des Engagements beruht schlussendlich darauf, inwiefern die Fonds ihre Vorhaben mit messbaren Massnahmen umsetzen. Neben diesen quantitativen Indikatoren gilt es, stets auch eine qualitative Analyse des Portfolios und des Anlageumfelds durchzuführen, um das effektive Engagement eines Fonds beurteilen zu können.
PHG: Die Anlegerinnen und Anleger orientieren sich unter anderem an der Entwicklung des Nettoinventarwerts (NIW). Zur Einschätzung der NIW-Perspektiven müssen sie die Entwicklung des Immobilienbestands antizipieren können. Dazu gehört auch die Berechnung der Rentabilität der Arbeiten zur energetischen Sanierung. Um beurteilen zu können, ob die Mieten angepasst werden können oder ob die Sanierungsarbeiten bereits in der künftigen Bewertung der Immobilien berücksichtigt sind, kommt man allerdings um ein direktes Gespräch mit den Fondsmanagern nicht herum. Die Studie hilft den Anlegerinnen und Anlegern, den Dialog mit den Fondsmanagern zu führen und die für den NIW relevanten Risiken zu identifizieren. Zu den Hauptrisiken gehört die potenzielle Diskrepanz zwischen den von den Fonds kommunizierten Angaben und der Realität vor Ort. Die Art von Daten, die die Studie liefert, können sich als ausserordentlich hilfreich erweisen, insbesondere wenn das Monitoring über mehrere Jahrzehnte erfolgt.
Welche Chancen eröffnen sich den Anlegerinnen und Anlegern?
ND: Die Studie ermöglicht es den Anlegerinnen und Anlegern, sich ein besseres Bild von den möglichen Strategien und dem Tempo zu machen, mit dem die Klimawende am Immobilienmarkt vorangetrieben wird. Darauf gestützt können sie Nischen oder innovative Trends identifizieren, ihr Risikomanagement verfeinern oder Anlagechancen ergreifen, die sich dort ergeben, wo der Sanierungsbedarf am grössten ist. Damit können sie die Klimawende aktiv mitgestalten. Die Analyse erleichtert es den Anlegerinnen und Anlegern, proaktive und informierte Entscheidungen zu treffen, was in dieser Übergangszeit von grösster Bedeutung ist.
PHG: Die Studie erlaubt es den Anlegerinnen und Anlegern, den zur Bewertung der Fondsrisiken verwendeten Ansatz zu verfeinern. Darüber hinaus ermöglicht die Zurverfügungstellung dieser Daten den Fondsmanagern, neue Renditequellen zu identifizieren und sich auf ein Gebiet zu spezialisieren, sich neu zu positionieren oder Immobilien zu erwerben, die ihr Portfolio optimal ergänzen und neue Renditechancen eröffnen. Ein Beispiel? Ein auf die Renovation alter Liegenschaften spezialisierter Fonds kann gezielt in Immobilien investieren und mit deren Aufwertung eine für andere Fonds nicht realisierbare Marge erzielen.
*Mehr Informationen zu der vom Center for Risk Management der Universität Lausanne (CRML) in Zusammenarbeit mit E4S und in Partnerschaft mit der BCV durchgeführten Studie finden Sie hier: Retrofitting the Future: The Costs, Timelines, and Strategies Shaping Swiss Real Estate.
** Mehr zu den Arbeiten des CRML im Bereich Immobilien, namentlich zu den PRESS-Scores finden Sie hier: Press score
Dr. oec. Nathan Delacrétaz forscht am Center for Risk Management (HEC Lausanne, UNIL) und ist Senior Researcher bei Quanthome. Als Spezialist im Bereich Umweltwirtschaft und Immobilienmarkt hat er zusammen mit anderen Fachleuten die PRESS-Scores geschaffen und bahnbrechende Berichte zur Nachhaltigkeit des schweizerischen Immobiliensektors verfasst.
Philippe Gabella stiess 2017 als Leiter für das Management indirekter Immobilienanlagen wieder zur BCV, wo er seine berufliche Laufbahn begonnen hatte. Zuvor verwaltete er indirekte Immobilienanlagen für private und institutionelle Kunden bei Lombard Odier Darier Hentsch (LODH). Philippe Gabella hat einen eidgenössischen Fachausweis als Immobilienentwickler. Er ist auch Finanzanalytiker und Vermögensverwalter (CIIA), diplomierter Finanz- und Anlageexperte (CIWM) und Chartered Alternative Investment Analyst (CAIA).